Leseszenarium – Individualisierung bei der aufgabengeleiteten Erarbeitung eines komplexen Textes
Die Durchführung eines Leseszenariums empfiehlt sich bei schwierigen Texten mit komplexen und/oder abstrakten Inhalten. Das gilt besonders für Inhalte, die für das jeweilige Fach von zentraler Bedeutung sind, z.B. das naturwissenschaftliche Thema „Atommodell“ oder das gesellschaftswissenschaftliche Thema „Verfassung der Bundesrepublik Deutschland“.
Die Lernszenariendidaktik wurde von Hans-Eberhard Piepho für den Fremdsprachenunterricht entwickelt. Petra Hölscher1 vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München hat diese Lernform, die sich besonders zur Individualisierung des Unterrichts in heterogenen Gruppen eignet, auf andere Fächer übertragen und die Sonderform „Leseszenarium“ entwickelt und in bayrischen Hauptschulen erprobt.
Ablauf
- Aufgabe und Sozialform auswählen
Die Schülerinnen und Schüler wählen entsprechend ihrem Interesse, ihrem Vorwissen und ihrer Kompetenz eine Aufgabenstellung aus. Außerdem entscheiden sie, ob sie allein, mit einem Partner oder in einer Gruppe arbeiten möchten. Die Aufgabenstellungen werden z.B. auf Karten an der Tafel präsentiert (siehe Kopiervorlagen). Petra Hölscher empfiehlt, den zu erarbeitenden Text erst nach dem Auswählen der Aufgabe auszuteilen. Ihr ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe unabhängig vom Text auswählen.
- Aufgabenstellung bearbeiten
Die Schülerinnen und Schüler lesen den Text, bearbeiten die Aufgaben selbstständig und bereiten die Präsentation ihrer Arbeitsergebnisse vor. In Lerngruppen, die die Aufgabenstellungen noch nicht kennen, empfiehlt es sich zu jeder Aufgabe einen Arbeitsbogen mit Hinweisen zur Bearbeitung bereitzustellen (siehe Kopiervorlagen, entstanden im ProLesen-Pilotprojekt).
- Präsentation
Abschließend werden alle Arbeitsergebnisse präsentiert. Durch die verschiedenen Darstellungsformen werden zentrale Inhalte und wichtige Fachbegriffe mehrfach wiederholt und prägen sich besonders gut ein. Außerdem finden die unterschiedlichen Lernkanäle der Schülerinnen und Schüler Berücksichtigung.
Zeitaufwand
Je nach Textlänge und -komplexität sollte man 3 bis 4 Schulstunden für die Durchführung des Leseszenariums einplanen. Die Aufgaben zum Text können von den Schülerinnen und Schülern sowohl im Unterricht als auch zu Hause bearbeitet werden. Die Präsentation aller Arbeitsergebnisse muss in der Unterrichtszeit erfolgen. Dabei sollte es auch genügend Raum für wertschätzende Rückmeldungen geben.
Aufgaben zur Differenzierung
Die Aufgaben in diesem Pool2 eignen sich, um Sachtexte zu erarbeiten. Die Auswahl enthält Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade, die verschiedene Fähigkeiten und Vorlieben ansprechen. Auch die benötigte Bearbeitungszeit ist unterschiedlich. Für ein Abecedarium beispielsweise braucht man in der Regel nicht so viel Zeit wie für das Zeichnen einer Bildergeschichte. Das wiederum ist eine attraktive Aufgabenstellung für gute Zeichner.
- Quiz zum Text entwickeln
- Multiple-Choice-Aufgaben zum Text entwickeln („Wer wird Millionär?“)
- Schlagzeilen zu Abschnitten formulieren
- Inhalt in grafische Darstellung umsetzen
- Text szenisch umsetzen
- Plakat zum Text erstellen
- Text in Dialog umformen
- Talkshow zum Text inszenieren
- Text in eine andere Textsorte umwandeln (Märchen, Tagebucheintrag, Zeitungsbericht ...)
- Richtig-Falsch-Übung zum Text entwickeln
- Lückentext oder Kreuzworträtsel zum Text entwerfen
- Bildergeschichte zum Text zeichnen (und beschriften)
- Fehler in den Text einbauen
- Abecedarium zum Text erstellen
- Präsentation gestalten (mithilfe einer Präsentationssoftware, z.B. Powerpoint)
- Mini-Büchlein zum Text erstellen
- Rap zum Text entwickeln
- Eigene Aufgabe erfinden
Feedback von Lehrkräften
- Die Schülerinnen und Schüler lesen den Text zielgerichtet und bearbeiten intensiv und motiviert ihre selbstgewählte Aufgabe.
- Die Schülerinnen und Schüler arbeiten über einen langen Zeitraum sehr konzentriert und sind wenig abgelenkt.
- Die Wiederholung wichtiger Fachbegriffe hat einen großen Lerneffekt.
- Die Individualisierung des Lernprozesses gelingt mit dieser Methode sehr gut. Zum einen können die Schülerinnen und Schüler Aufgaben unterschiedlichen Niveaus bearbeiten, zum anderen ihren Neigungen entsprechend mit dem Text umgehen (grafisch gestalten, szenisch darstellen etc.) und die Medienvielfalt nutzen. Hinzu kommt die freie Wahl der Sozialform, mit der auch die unterschiedlichen Persönlichkeiten berücksichtigt werden.
- Auch wenn Arbeitsergebnisse Fehler haben, ist das kein Problem. Bei den Präsentationen werden sie von den Mitschülern erkannt. Die Korrekturen erfolgen „auf Augenhöhe“ und sind so sehr wirksam.
Feedback von Schülerinnen und Schülern
- Wenn man so arbeitet, geht’s besser in den Kopf.
- Man kann sich die Informationen besser einprägen.
- Die Wiederholung ist gut.
- Es ist abwechslungsreich.
- Man ist aktiv.
Aufgaben für das Leseszenarium – Kopiervorlagen im DIN-A5-Format
Arbeitsbögen zu den Aufgaben des Leseszenariums – Kopiervorlagen
1 Petra Hölscher (Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung): Lernszenarien. Die neue Philosophie des Sprachlernens. Finken Verlag 2006
2 Petra Hölscher, Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung in München, hat diese Aufgabensammlung im Jahr 2006 auf einer Fachtagung in Berlin vorgestellt.
Das Aufgaben-Angebot ist attraktiv.
Redaktionell verantwortlich: Erna Hattendorf
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